Es war einmal ein Mann, der seine Arbeit hasste. Er musste den ganzen Tag arbeiten, um sein Einkommen zu verdienen. „Jeden Tag Steine klopfen, was für eine schreckliche Art zu leben“, dachte er, „oh wäre ich doch reich, um den ganzen Tag faulenzen zu können“. Sein Wunsch wurde so stark, dass er eines Tages in Erfüllung ging. Der Steinmetz hörte eine Stimme, die sagte: „Du bist, was du sein möchtest;“ Er wurde reich und konnte sofort alles haben, was er immer ersehnt hatte: ein schönes Haus, köstliche Speisen, wertvolle Gewänder und Sinnesvergnügungen.
Kaum war er glücklich, sah er einen König mit seinem Gefolge vorbeiziehen und dachte: „Er ist mächtiger als ich. Wie gerne wäre ich an seiner Stelle!“ Erneut vernahm er die Stimme und wurde wie durch Zauberhand zum König. Nun war er der mächtigste Mann im Reich und dachte: „Wie erregend die Macht doch ist!“ Alle gehorchten ihm. Einige Zeit empfand er dies als höchstes Glück, aber auch das war nicht von Dauer. Immer mehr ergriff ihn eine entsetzliche Unzufriedenheit. „Ich will mehr!“, sagte er sich und starrte in den Himmel.
Er sah die Sonne und dachte: „Die Sonne ist noch mächtiger als ich. Ich will die Sonne sein;“ Und er wurde zur Sonne: groß, stark und strahlend. Er herrschte über Erde und Himmel. Nichts konnte ohne ihn leben. Doch da bemerkte er, dass die Wolken ihn daran hinderten, die Landschaft zu sehen. Sie waren leicht und beweglich. Anstatt eine feste Gestalt am Himmel zu bilden, konnten sie unendlich viele Formen annehmen und bei Sonnenuntergang glühten sie in den betörendsten Farben. Sie hatten keinerlei Sorgen und waren frei. Wie beneidenswert!
Sein Neid währte nur kurz. Abermals hörte er die Stimme: „Du bist, was du gerne sein möchtest!“ Und sofort war er eine Wolke. Es war angenehm, frei in der Luft zu schweben, beweglich und kuschelweich zu sein. Er genoss es, unterschiedlichste Farben und Formen anzunehmen. Bald war er schwer und dunkel, bald prächtig und weiß, dann wieder so fein und zart wie Stickerei. Doch früher oder später kondensierte die Wolke zu Regentropfen, die gegen einen Granitfelsen schlugen. Was für ein Aufprall! Der Fels war schon seit Urzeiten da gewesen, hart und massiv. Und nun zerplatzten die kleinen Wassertropfen auf dem Stein und rannen auf die Erde, wo sie aufgesaugt wurden, um für immer zu verschwinden.
„Wie herrlich wäre es, ein Fels zu sein“, dachte der Mann. Umgehend wurde er zu einem Fels. Er erfreute sich an seinem Leben als Fels. Endlich hatte er Standfestigkeit gefunden. Jetzt fühlte er sich sicher. „Schließlich suche ich nach Sicherheit und Festigkeit, jetzt wird mich niemand von der Stelle bewegen“, dachte er. Die Regentropfen prallten von dem Fels ab und sickerten an seinen Seiten hinab. Das war eine wohltuende Massage, ein Geschenk. Die Sonnenstrahlen wärmten und streichelten ihn – wie wunderbar. Der Wind erfrischte ihn. Die Sterne wachten über ihn. Er hatte Vollkommenheit erlangt – glaubte er zumindest eine kurze Zeit lang.
Doch es war nicht wirklich soweit. Eines Tages sah er, wie eine Gestalt am Horizont auftauchte und sich ihm näherte. Es war ein Mann mit einem großen Hammer. Dieser Mann fing an, den Hammer gegen ihn zu schleudern. Schlimmer noch als der Schmerz war seine Bestürzung: Dieser Mann war sogar stärker als er und konnte sein Schicksal selbst bestimmen; dieser Mann war ein Steinmetz.
„Wie sehr wünsche ich mir, ein Steinmetz zu sein“, dachte er. Also wurde er wieder ein Steinmetz. Er wurde wieder zu dem, der er immer gewesen war. Doch dieses Mal war er wahrhaft glücklich. Er erkannte: Steine so zu bearbeiten, wie er es konnte, ist eine Kunst. Das Geräusch des Hammers klang ab jetzt wie Musik in seinen Ohren und die Müdigkeit am Ende des Tages vermittelte ihm das Gefühl, viel gute Arbeit geschafft zu haben.
In der darauffolgenden Nacht hatte er im Traum die Vision einer mächtigen und imposanten Kathedrale. Sie beeindruckte die Menschen viele Jahrhunderte lang, dank der von ihm prachtvoll gemeißelten Steine.
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